Ein IOR Klassiker
Auf den allerletzten Drücker - oder gerade noch "Just in time"
Der Kalender für das FASTNET 2023 sah am Freitag, den 21. Juli, um 12:00 Uhr (BST) das Skippers’ Briefing vor und dann am Samstag, 22. Juli, ab 13:00 BST den Start der Regatta. Zuvor war am Donnerstagabend die große Crewparty beim RORC vorgesehen.
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Vor diesem Hintergrund hatten wir das Eintreffen der Crew für Mittwoch, den 19.7.2023, in Cowes verabredet. Die 2 Bremer reisten dazu mit dem Flieger um 06:20 Uhr (CEST) über Amsterdam nach Southampton,, Willie aus dem Taunus war schon tags zuvor mit dem Auto in die Normandie gefahren und hatte dann über Nacht die Fähre über den Channel genommen, sodass wir uns am Mittwoch zu dritt fröhlich gg. 12:00 Uhr zum Begrüßungsdrink im RORC trafen. Allein Co-Skipper Erhard hatte ein Anreiseproblem, was Wunder, er kommt ja aus Berlin. Sein Nachmittags-flieger verpasste den Anschluss in Amsterdam und zwang ihn zur Übernachtung dort, so dass er im Ergebnis mit 24 Std. Verspätung erst am Donnerstag eintraf, aber gerade noch rechtzeitig zur Crewparty.
LETZTE VORBEREITUNGEN: EINIGE !
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Noch zu dritt setzten wir am Mittwoch nach einem erfrischenden Pimm’s im RORC mit dem Hafentaxi zu SNIFIX DRY über, die seit Pfingsten in East Cowes am Ponton lag, und verholten sie in die Shepards Marina, um uns den letzten technischen und logistischen Vorbereitungen zuzuwenden, denn da war plangemäß noch einiges zu tun – und wie sich herausstellte, kam noch einiges hinzu.
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Kurzer Schockmoment dabei ein Unfallmalheur, denn Willie stürzte beim Sprung auf den Steg und zog sich eine Knieverletzung zu, die besser ärztlich begutachtet und behandelt werden sollte, um sicherzustellen, dass er nicht später auf See Probleme mit einer Entzündung der Wunde bekäme. Am Ende wurde aber alles gut, Willie vom Marina-Mitarbeiter sehr hilfsbereit ins St. Mary’s Hospital gebracht, von wo er dann gerade rechtzeitig zum Abendessen in einem netten Lokal mit beruhigendem Befund und gut versorgter Wunde zurückkehrte, voll des Lobes über das britische Health Care System.
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Derweil hatten wir an Bord ein unerwartetes technisches Problem festgestellt: Die Hydraulik, mit der wir u.a. das Vorstag von SNIFIX durchsetzen, leckte und hatte schon einige Hydraulikflüssigkeit verloren – Mist. Ein nicht ausreichend unter Spannung stehendes Rigg wäre für uns ein ernstes Starthindernis, es musste eine Lösung her!
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Die Folgen dieses Defektes begleiteten uns im Übrigen noch fast bis zum Ende der Regatta: Die Hydraulik hatte ja schon einiges an Öl freigegeben – mitten in der Backskiste für die Schoten. Die hatten dabei natürlich auch einiges abbekommen. Und so dauerte es Tage, bis die Schoten durch Gischt, Regen und ständiges "Auswringen" durch die Spannung der Schoten nicht mehr ein schmieriges Öl-Wasser-Gemisch an den Winschen auspressten und Deck und Cockpit ein rutschiges Finish verliehen. Und ständig umwaberte der Öl-Duft die Segler an den Genua-Schoten.
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Neben diesem neuen Punkt waren folgende Restarbeiten vorgesehen:
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Einbau der reparierten Heizung (die betreffende Postsendung lagerte beim RORC)
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Einbau neuer Motorhebel
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Check und ggf. Reparatur des Autopiloten
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Neue Leuchtdiode für die Kompassbeleuchtung
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Abschmieren der Ruderwelle
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Teflonschmierung der Tuff-Luff-Nuten am Vorstag für leichteres Gleiten der Vorsegellieken beim Setzen und Bergen der Segel
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Unterwasserschiffsreinigung und Montage unserer Schwertblockierung (Sicherheitsmaßnahme für den Fall einer Kenterung)
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Herstellung und Montage eines neuen Ballastgewichts für unsere MOB-Boje
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Eine Menge Kleinigkeiten wie das Ölen diverser beweglicher Teile und Rollen, ein paar Taklings hier, mit Tape abzuklebende Scheuerstellen dort, solche Sachen eben – ein Boot ist niemals fertig, sondern nur die Zeit irgendwann abgelaufen.
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Last but not least: Taktische und navigatorische Planung und Absprachen, namentlich mit Blick auf die konkreten Wetteraussichten.
Es wird schnell klar – unsere gerade 2 ½-tägige finale Vorbereitungsphase war von vornherein ordentlich ausgelastet, auf das Hydraulikthema hätten wir gern verzichtet.
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Fast alle Dinge ließen sich jedoch gut erledigen, die Heizung war einfacher einzubauen als befürchtet und funktionierte sogar wieder, anders leider beim Autopiloten, da kam zwar der freundliche Elektronikexperte, der uns schon vergangenes Jahr geholfen hatte, trotz der hohen Servicenachfrage kurz vorm FASTNET kurzfristig an Bord und checkte über gut zwei Stunden allerhand Dinge, im Ergebnis aber erfolglos – irgendwas mit unserer „blackbox“ für die AP-Steuerung ist im Eimer, kurzfristig nicht lösbar. Das ist aber kein Drama, wir sind ja zu viert, da können wir auch die ganze Zeit manuell steuern.
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Fein lief es am Donnerstag mit dem Unterwasserschiff. Dazu verholten wir am späten Vormittag nochmal auf dem River Medina weiter stromaufwärts nach East Cowes zur Kingston Werft, wo SNIFIX einen Termin zur Bauchmassage hatte – lief fein, alles nette und zuverlässige Leute und gar nicht mal teuer (rd. 260 GBP fürs Kranen und eine sehr sorgfältige Hochdruckreinigung). Verblüffend war, wieviel Schmodder der Rumpf schon wieder angesetzt hatte. Das Boot war nur rd. 3 Monate zuvor sauber zu Wasser gegangen. Und Willie nutzte die Gelegenheit und das Equipment der Werft, um die Ruderwelle noch mal zu fetten.
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Ein „Kreativthema“ war noch die neue Ballastbombe für die MOB-Boje. Dazu hatte ich schon beim Törn zuvor eine dicke Gewindestange im Baumarkt in St. Cast le Guildo besorgt, die wir nun in passende Stücke von etwa 20 cm zersägten, diese dann mittels 2 größerer Schlauchschellen als Paket am Ende der Bojenstange befestigten und mit viel Panzertape ummantelten – fertig und passt. Ärgerlich nur, dass wir es unterließen, den Sägestaub sorgfältig aus dem Cockpit zu entfernen – da hat es infolge dieser Nachlässigkeit nun hässliche Rostspuren auf weißem Lack – schade, das wäre leicht vermeidbar gewesen. Aber wir hatten einiges um die Ohren und wollten am Donnerstagabend ja noch zur Crewparty – was sich lohnte und ein schöner Abend wurde, speziell da auch Erhard gerade noch rechtzeitig eintraf.
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Dennoch konnte ich diesen Abend noch nicht uneingeschränkt genießen, denn mir ging das noch ungelöste Hydraulikproblem durch den Kopf: Wir nahmen an der FASTNET-Crewparty teil, konnten aber gar nicht sicher sein, ob wir nur gut 36 Stunden später wirklich würden starten können. Willie hatte es zwar mit Geduld und Hartnäckigkeit am Telefon hingekriegt, dass uns ein Repräsentant einer Hydraulikfirma zusagte, es würde Freitagmorgen ein Kollege vorbeikommen – ob der aber helfen könnte, war Donnerstagabend ungewiss (und meine Erwartung verhalten).
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Allerdings kam mir dann auf der Party ein Gedanke, der mehr Erfolg versprach, als das Vertrauen auf den unbekannten Hydraulikmann: Unser Vorstag ist mit dem Hydraulikzylinder mittels eines Wantenspanners mit Gabelterminal verbunden, und dieser Spanner hatte noch eine Gewindereserve von gut 10 cm. Würde man die Hydraulik ganz entspannen und so „überflüssig“ machen, und dafür den Spanner ganz zudrehen, sollte diese Vorstagsverkürzung ausreichen, das Rigg ausreichend unter Spannung zu halten, wenn auch unter Verzicht auf die Trimmvariabilität und wohl auch um den Preis einer etwas geringeren Vorstagspannung hoch am Wind als optimal. Als mir dieser Gedanke kam, wie wir das Problem vielleicht doch autark mit Bordmitteln lösen könnten, schmeckte das Bier schon wieder besser – der Hamburger, für den wir lange Schlange stehen mussten, dabei aber jede Menge nette Gespräche mit anderen hatten, war sowieso klasse, und die urige Texmex-Band, die im Festzelt einheizte, auch.
Wegen der noch vor uns liegenden Arbeiten übertrieben wir es auf der Party aber nicht und waren am Freitagmorgen zeitig hoch.
Und das war auch gut so, denn leider stellte sich schnell ein doppelter Rückschlag heraus:
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Der Hydraulikmann (ein wohl gut 120 kg schwerer mächtiger Kerl mit reichlich unsportlicher Erscheinung, Blaumann, Sicherheitsschuhen und orangefarbener Warnweste), dem schon auf Entfernung anzusehen war, dass er für die Arbeiten bei uns an Bord schlechte Voraussetzungen mitbrachte, da die wegen der schweren Zugänglichkeit der betroffenen Hydraulikkomponenten eher schlank-geschmeidige Monteure verlangten, kam zwar pünktlich wie vereinbart und war sehr freundlich, stellte aber sofort fest, an Bord könne er nicht kommen, da er eine Knie-OP hatte („I can’t bend my knee“), und wir lagen als zweites Boot im Päckchen längsseits eines großen Bootes mit mächtigem Freibord (die bekannte „LEU“). Ferner stellte sich in unserem Gespräch heraus, was sein Aufzug schon andeutete: Das war kein Yachthydraulikmann, sondern ein Experte für Bagger, Baumaschinen, Kräne und ähnliches großes Gerät. Natürlich bot ich ihm für seine vergeblich geopferte Anfahrt und Zeit die angemessene Vergütung an – das wies er aber von sich. Trotz der Ergebnislosigkeit ist aber auch hier festzuhalten, dass das super hilfsbereite und verlässliche Leute da in Cowes sind, die jedem auch kurzfristig zu helfen versuchen, wie sie nur können.​​
Also machten wir uns an „Plan B“ mit dem Vorstagspanner, lösten dazu Ober- und Unterwanten, um das Spannen des Vorstags zu erleichtern – und erlebten die zweite Pleite: Das Gewinde des Spanners hatte „gefressen“ und ließ sich selbst mit größter Kraft (Gewalt?) nicht weiter zudrehen – Schande!
Aber wir sind in Cowes, es ist das Mekka des britischen Hochseesegelsports, und zumindest unser Vorstag-Wantenspanner hat handelsübliche Dimensionen. Schon am Vortag hatten wir mal vorsorglich gecheckt, welche Rigger am Platze sind – da müsste es doch ein taugliches Ersatzteil geben.
Und als wir nun feststellen, dass wir einen neuen Wantenspanner brauchen, ist gerade unser Elektronikexperte mit seinen Bemühungen der AP-Reparatur am Ende und bietet uns an, uns beim Rigger vorbeizufahren! Dankend nehmen wir an: Das ist jetzt unsere letzte Patrone im Lauf und um 12:00 ist Skippers’ Briefing …..
​Und diesmal haben wir Glück: Der Rigger hat genau ein einziges Teil mit den erforderlichen Dimensionen im Regal (auch das gar nicht mal teuer)! Jetzt aber hurtig zum Schiff. Wir können noch kurz checken, dass es wirklich passt und unser Problem lösen wird und können – wieder mal auf den letzten Drücker – zum Skippers’ Briefing eilen, jetzt in der Gewissheit, dass wir wirklich dabei sind!​
Anschließend an Bord dann der Austausch des Spanners vorn und maximal verkürzt zugedreht. Dann müssen wir Ober- und Unterwanten wieder auf die zuvor mittels Zollstocks vermessenen Werte einstellen (wobei die Mittelwanten dank der Konstruktion unseres Riggs mit gespannt werden). Das ist eine umständliche und anstrengende Prozedur – am Ende macht unser Rigg aber wieder eine gute Figur. Es steht gerade, alle Wanten sind wieder unter guter Spannung, der Ausgangsstatus scheint wiederhergestellt, und auch das Achterstag ist jetzt ausreichend gespannt, ganz so, als hätten wir der Hydraulik zumindest mittleren Druck gegeben. So war es vorgesehen und so mache ich mir keine Sorgen mehr.​
Parallel zu dieser wesentlichen Operation arbeiten wir jetzt am Freitag zu viert auch fast alle übrigen Punkte ab und können dann in dem schönen Gefühl „Morgen geht’s los“ zum Abendessen gehen.
​Dafür hatten wir aber keine Reservierung gemacht, denn es war ja den Tag über schwer absehbar, wann wir die wesentlichen Punkte unserer to-do-Liste so weit im Griff haben würden, dass wir uns dem Müßiggang zuwenden können. Am Abend vor dem FASTNET Race ohne Tischreservierung in der Erwartung durch Cowes zu marschieren, irgendwo noch was Nettes zu finden, zeugt jedoch von jenem hohen Grad von Optimismus, der uns auch im Übrigen bisher vorangetrieben hatte – und es geht wieder auf :-)..
Im „SMOKING LOBSTER“ scheint ein Tisch frei zu sein, wir ergreifen die Gelegenheit beim Schopf, fragen einfach nach und haben Glück. Und welches Glück wir dabei haben, wird uns erst später klar – der Laden ist spitze, wir speisen grandios, u.a. tatsächlich Wight Lobster, und sind in bester Stimmung.​
Aber fertig sind wir immer noch nicht – der Start ist ja für uns erst am Samstag um 14:30 BST, da bleibt noch Zeit für „kleinere Restarbeiten“ am Samstagvormittag. Die Fertigstellung der Regattabereitschaft von SNIFIX DRY gerät erneut zur extrem eng getakteten Just-in time-Lieferung. Dazu gehört dann auch mein letzter Gang ins Rigg um die Vorstagsnuten zu präparieren. Im Bootsmannsstuhl geht’s bis ganz nach oben, dann schlinge ich einen Zeiser um das Vorstag, der mich beim Fieren des Falls in Armeslänge vom Vorstag entfernt wieder nach unten gleiten lässt, und versprühe eine Flasche Teflon-Gleitspray. Später wissen wir dann, dass sich das wirklich gelohnt hat, denn die Segel gehen jetzt leicht rauf und runter und das erleichtert uns die Manöver spürbar.​
Diese letzte Amtshandlung gelingt mir noch bei nur bedecktem Wetter in Shorts, dann setzt langsam der Regen ein, der uns schon beim Skippers’ Briefing für den Start und auch den weiteren Verlauf der Regatta angekündigt worden war. Wir klarieren SNIFIX unter Deck regattafest auf, schaffen die G4 und die Sturmfock an Deck, steigen dann in unser Foul Weather Gear und legen kurz nach 11:00 BST ab – es geht los!