Ein IOR Klassiker
2021
NORMANDIE
Unmittelbar nach dem FASTNET-Abenteuer hatten wir einen Anschlusstörn im Modus "Urlaub" geplant. Dazu war unsere Urlaubscrew schon zur Siegerehrung am Samstag angereist, anschließend gab's ein feines Abendessen mit Fastnet- und Urlaubscrew, am Sonntag dann wieder großes Umräumen aus dem Anhänger zurück ins Boot und neue Kojenbelegung, Abschied von der Regattacrew, ein ruhiger Montag in Cherbourg, und am Dienstag dann Aufbruch zu neuen Ufern zu sechst als Cruiser.
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Die Planung dieses Törns war auch von COVID 19 beeinflusst. Ursprünglich hatten wir erwogen, wieder über den Kanal an die englische Südküste zu gehen, vielleicht zu den Isles of Scilly - wurde aber unkalkulierbar aus besagtem Grunde. Das gleiche galt für den Weg nach Westen zu den Channel Islands. Die Westküste der Halbinsel Cotentin hinunter nach St. Malo ohne Option Channel Islands fanden wir auch nicht so prickelnd. So kam am Ende die "sichere Bank" Normandie mit Beschränkung auf die Baie de Seine dabei heraus - und das war ein voller Erfolg: Ein schönes Revier, überschaubar mit durchweg kurzen Distanzen, bei der vorherrschenden Windrichtung West auch gut geschützt - genau das Richtige, wenn's um einen easy Urlaubstörn geht.
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Unser erster Schlag führte uns rd. 30 sm nach Saint-Vaast-la-Hougue, ein Muss für jeden Austernliebhaber - und wir waren alle Austernliebhaber. Und während Austern in Deutschland manchem als elitärer Luxus für Snobs erscheinen, kommen sie hier in der Normandie eher wie ein wohlfeiles Grundnahrungsmittel daher: Überall auf der Karte, stets frisch und in super Qualität, und nicht mal teuer. Der Hafen ist urig, die kleine Stadt auch, der Marsch bei Niedrigwasser entlang den Austernbänken zur vorgelagerten Ile Tatihou zum dortigen Fort ein großer Spaß, und die Meeresfrüchteplatte am Hafen hält, was man sich an so einem Standort davon verspricht. Navigatorisch ist das alles weitgehend ohne Tücke, die Schleuse ist gut 2 Std. vor und nach HW offen, bei Spring auch etwas länger, und für Boote zumindest bis 2,50 m Tiefgang bietet sich immer ein Fenster von mindestens 4 Std. - fair enough. Eine maritime Attraktion ist die in St. Vaast beheimatete (Privat-) Yacht "Nell" von 1887. Sie ist tatsächlich bereits 1887 als reines "pleasure craft" entworfen und in Schottland für einen Maler gebaut und nicht erst nach früherem Einsatz als Arbeitsschiff umgewidmet worden. Damit gehört sie zu den weltweit ältesten ursprünglichen Sportsegelyachten. Sie ging durch 36 (!) Hände und hat seit gut 10 Jahren einen neuen Eigner, der sie liebevoll und aufwändig durch eine in St. Vaast ansässige Werft restaurieren und instand halten ließ/lässt.
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Nach zwei Nächten zogen wir weiter mit Ziel Port-en-Bessin-Huppain, etwa 25 sm. Da uns auf dem Weg dahin der Wind verließ, nutzten wir die Gelegenheit, ein paar Makrelen aus dem Wasser zu ziehen - die landeten später im Hafen auf dem Grill. Port-en-Bessin hat einen Nach- und einen Vorteil: Der Nachteil besteht darin, dass es eigentlich nur einen yachttauglichen Liegeplatz gibt. Der Vorteil besteht aber zugleich genau darin, dass es eben nur diesen einen Platz gibt. Man liegt an der schönen Promenade mit vielen Restaurants, ansonsten nur Fischkutter, und dieses Arrangement ist dann so ursprünglich, wie wohl nur noch an wenigen Plätzen im Revier. Wir lagen dabei längsseits einer freundlichen Herrencrew 3-er älterer Franzosen, die wir später in Honfleur wieder trafen, wo sie dann bei uns längsseits gingen - nett. Und während die Liegegebühren im allgemeinen etwas höher sind als z.B. in der Ostsee (wir zahlten für unsere 13 m-SNIFIX zu sechst durchweg um die 50 EUR/Nacht, dies aber "all in" ohne zusätzliche Kosten für Dusche, Wasser oder Strom), war's hier erstaunlich: 12 EUR die Nacht.
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Unser nächster Schlag ging dann direkt nach Honfleur - mit rd. 40 sm auch keine Weltreise. Nach anfangs schwachem Wind kam eine schöne Spinnakerbrise auf und brachte uns schneller zum Ziel als nötig und sinnvoll, denn der Wasserstand reichte noch nicht aus, als wir ins Zielgebiet kamen, zugleich zog eine bedrohliche Schauerbö heran. Da entschlossen wir uns, einfach noch mal Richtung Reede vor Le Havre hinaus zu segeln, auch in der Hoffnung, uns vor dem Regen zu verkrümeln. Die Rechnung ging auf, die Bö zog hinter uns durch, wir blieben trocken und segelten dann später mit dem letzten auflaufenden Wasser bei blankgeputztem Himmel und aufgehendem Mond nach Honfleur hinein - ein Bild zum Heldenzeugen! Ins innere Hafenbecken ging's um diese Ankunftszeit nicht mehr, da die Brücke geschlossen, der Gastliegersteg vor der Brücke ist aber nur wenige Schritte vom Zentrum entfernt, schön und ruhiger, so dass es uns auch für die zweite Nacht nicht ins Innenstadtbecken zog - nicht zuletzt wegen der größeren Freiheitsgrade unabhängig von den Brückenzeiten für den Aufbruch am folgenden Tag. Über Honfleur muss man nicht viel schreiben - es ist reizend, auch wenn manchen wohl der touristische Rummel stört (Rothenburg o.T. ....). Vielleicht hatten wir Glück, dass die in anderen Jahren wohl hohe Zahl von Überseetouristen noch nicht wieder zurück war, jedenfalls kam uns der Trubel noch erträglich vor, und das Stadtbild ist zweifellos entzückend. Wir haben dann einen schönen Spaziergang steil hinauf zu einer Kapelle über der Stadt gemacht und von dort Richtung Westen zum Strand hinunter zurück - eine feine Runde. Auch hier gelang es uns dann, direkt neben der famosen Holzkirche ein klasse Restaurant zu finden - erstaunlich.
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Ganz dem Modus "entspannter Urlaub" verpflichtet, war auch unser nächstes Ziel nicht weit: Deauville - ganze 15 sm. Wir brachen in Honfleur präzise zur Öffnung der Schleuse auf und konnten so nahe Hochwasser einen relativ kurzen Schlag an der Küste machen. Die Einfahrt nach Deauville ist einfach und erlaubt es, bis direkt vor die dortige Schleuse zu segeln. Dann nur noch etwas Aufenthalt im ersten Yachthafenbecken bis die Brücke zum Becken des Yacht Club de Deauville öffnet, und wir waren am Ziel. Und was für ein Ziel: Der Yachtclub hat 2019 heftig investiert, es gibt ein erstklassiges neues Clubhaus mit chicer Bar und 1a Sanitäreinrichtungen, gute Liegeplätze mit einem langen bequemen Gastliegersteg, eine schöne neue Bebauung dort am Ufer, und dann zwei völlig funktionslose aber imposante Türme an der Hafeneinfahrt, ähnlich wie in antiken Vorbildern zu Alexandria oder Rhodos überliefert. Geld scheint hier keine so große Rolle gespielt zu haben. Das beste an diesem Arrangement aber wohl die Lage, nämlich genau im Zentrum zwischen den höchst unterschiedlichen Doppelorten Deauville und Trouville. Verlässt man den Hafen nach links, ist man in wenigen Fußminuten an der Promenade des belebten Trouville mit Restaurants, Läden, Galerien, dem tollen Fischmarkt und zum Schlendern und Stöbern einladenden Gassen, wendet man den Schritt nach rechts ist man ebenso schnell im ruhigeren eleganten Deauville, auch dort Geschäfte und natürlich Restaurants, alles aber etwas ruhiger, auch exklusiver, und es erscheint insgesamt mehr von dort mit ihren Sommerhäusern und Ferienwohnungen ansässigen Gästen geprägt, als von Hotelurlaubern. Und dann natürlich die unvergleichlichen "Planches", der kilomerterlange Holzdielenweg entlang des kaum endend erscheinenden Strandes mit den typischen kleinen, nach internationalen Kinogrößen benannten Strandboxen (die man wohl kaum kaufen oder mieten, sondern nur erben kann ...), in denen die glücklichen Besitzer dieser kleinen Etablissements ihre Liegestühle und sonstiges "Strangut" verwahren.. Eine brandaktuelle Attraktion ist das erst dieses Jahr eröffnete ehemalige Franziskaner Kloster, das architektonisch großartig zu einem Museum mit Bibliothek, Veranstaltungs- und Begegnunsräumen umgestaltet wurde - formidabel gelungen und unbedingt einen Besuch wert. Das gilt aber auch für die Umgebung Deauvilles. Wir haben einen Ausflug zu einer knapp 20 km entfernten historischen, seit einigen Jahren wieder in Betrieb befindlichen Calvados-Destillerie gemacht und waren von der Schönheit und Harmonie der Landschaft beeindruckt. Sanft hügelig gleitet sie dahin, kleine Wälder, Knicks, Felder und Wiesen wechseln sich ab, dazwischen Gestüte (wen wundert's ...) und Golfplätze, alles penibel gepflegt, eine Bilderbuchlandschaft, alle Probleme dieser Welt erscheinen hier sehr fern, eine Gegend wo jeder gern mit Fahrrad, Velo-Solex oder alter Ente eine Baguette einkaufen und einfach nur die Zeit genießen möchte.
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Nach drei Hafentagen wurde es Zeit zum Aufbruch zurück nach Cherbourg. Wir hatten uns nicht zuletzt wegen der Verlockungen Deauvilles entschieden, länger dort zu bleiben und den Rückweg in einem Rutsch zu machen (75 sm), zumal der Weg von Ost nach West an der Küste nicht ganz so einfach ist, wie umgekehrt, da es ja gegen den zeitlichen Tidenverlauf geht, im Osten des Reviers tritt das Hochwasser rd. eine Stunde später ein, als im Westen. Entsprechend verkürzen sich die möglichen Segelzeiten von Ost nach West um dasselbe HW herum auf bestenfalls knapp vier Stunden. Es ergeben sich also drei Strategien: Kurztrip nur 3-4 Stunden ums selbe HW herum, Mitteldistanz spät nach einem HW raus und früh vor dem folgendem HW durch die Schleuse am Zielhafen, oder Langdistanz: Möglichst früh vor einem HW aus dem Hafen raus und möglichst spät nach dem folgenden HW Einlaufen in den nächsten Hafen. Plant man ausreichende Reservezeiten ein, bleibt für den die Variante Kurztrip nur wenig sichere Strecke über. da haben wir lieber gleich "lang geplant", zumal Cherbourg ja bei allen Wasserständen angelaufen werden kann. Das lief bei NE-lichem Wind prima, lange mit guter Fahrt, bis der Flutstrom wieder einsetzte und wir westlich von Barfleur bei gut 7 kn durchs Wasser wieder nur mit 2,5 - 3 kn SOG unterwegs waren. Unter ungünstigeren Verhältnissen kreuzend kann dieser Trip von 75 sm üG also durchs Wasser auch gern mal 125 sm ergeben. Wir erreichten Cherbourg aber nach gut 12 Stunden und schlossen unsere Urlaubstörn mit einer leckeren Portion Mitternachtsspaghetti ab.